Ich darf Ihnen heute Frau Dr. Katarzyna Pękacka-Falkowska vorstellen. Sie ist die erste Preisträgerin der Copernicus-Vereinigung für Geschichte und Landeskunde Westpreußens, wozu wir ihr schon jetzt ganz herzlich gratulieren.
Frau Pękacka-Falkowska studierte Geschichte und Soziologie an der Nicolaus-Copernicus-Universität in Thorn (UMK Toruń) und an der Freien Universität Berlin. Außerdem nahm sie einer Sommerakademie zu den Artes Liberales der Universität Warschau teil. Ihre Promotion bereitete sie unter Anleitung von Prof. Dr. hab. Krzysztof Mikulski an der UMK Toruń vor und verteidigte sie dort 2012 erfolgreich.
Die Studie wurde im darauf folgenden Jahr gleich zweimal ausgezeichnet: einmal mit dem Preis des Premierministers der Republik Polen und einmal mit dem Tadeusz Brzezinski-Preis der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Medizingeschichte für herausragende Doktorarbeiten zur Geschichte der Medizin und verwandter Wissenschaften. Möglicherweise hat hierzu die Tätigkeit von Frau Pękacka-Falkowska als Generalsekretärin der Polnischen Gesellschaft für die Geschichte der Medizin und der Pharmazie beigetragen.
Praktika und Stipendien des Herder-Institutes in Marburg, der Bayerischen Staatskanzlei in München, des Istituto Internazionale di Storia Economica F. Datini in Prato, des Instituts für Internationale Soziologie in Görz und der Polnischen Historischen Mission in Würzburg ermöglichten es ihr, die mit der Dissertation grundgelegten Forschungen weiter auszubauen und zu vertiefen. Heute ist Frau Pękacka-Falkowska als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte der Medizinischen Wissenschaften der Universität Posen (Poznań) tätig.
Außerdem war unsere Preisträgerin bereits mehrmals als Übersetzerin wissenschaftlicher, in der Mehrzahl philosophiehistorischer Texte aus dem Deutschen ins Polnische tätig. Sie verfügt überdies über gute Kenntnisse der italienischen Sprache.
Ihre Forschungsinteressen liegen in der Seuchengeschichte Polen-Litauens, der Sozialgeschichte des Königlichen Preußen, beides vom 16. bis 18. Jahrhundert, überdies in der Philosophiegeschichte der Moderne und der Edition historischer Quellen. Bereits im Jahre 2009 entstand als Ergebnis ihrer Magisterarbeit eine Studie über „Die Vorsorge gegen die Pest im frühmodernen Thorn am Beispiel von Verwaltungs- und Behandlungsmaßnahmen“. Und noch mindestens zwei weitere Beiträge können als Früchte des Arbeitsgebiets Seuchengeschichte gelten. Einer widmet sich den Reaktionen der Thorner Protestanten gegenüber der Pest von 1708 am Beispiel der Predigt „Der christliche Patient“, der andere dem Thema „Disziplinieren und Helfen“ anhand der Amtseide und Auftragsvergaben der Thorner Hebammen. Im Jahre 2012 veröffentlichte Frau Pękacka-Falkowska außerdem gemeinsam mit Bartosz Drzewiecki eine „Geschichte des Stadtpark in Toruń von 1817/1818 bis 1939.“ Es handelt sich hierbei offenkundig um eine sozialgeschichtliche Mikrostudie.
Wofür wird Frau Dr. Pękacka-Falkowska heute ausgezeichnet? Ich darf mit dieser Frage zum Inhalt ihrer Dissertation übergehen. Das Thema der bislang unveröffentlichten Studie lautet „Epidemische Krankheiten im neuzeitlichen Thorn. Die Große Pest während des Großen Nordischen Krieges als totales soziales Phänomen“. Der Ausdruck „totales soziales Phänomen“ geht auf den französischen Religionssoziologen zurück und bezeichnet historische Vorgänge, die Auswirkungen in der Breite des gesellschaftlichen Lebens zeitigen. In der vorgelegten Studie geht es deshalb nicht nur um eine Darstellung der politischen, sozialen, kulturellen, demographischen und psychologischen Folgen der Pest, sondern auch um den Nachweis einer Infrastruktur, die dazu verhalf, den sozialen Zusammenhalt in der Stadt angesichts von Gewalt, Leid und Angst (wieder) herzustellen und aufrechtzuerhalten.
Eine exemplarisch vorgehende Mikrostudie zur Seuchengeschichte im frühneuzeitlichen Preußenland stellt insofern eine Besonderheit dar, als bislang keine entsprechenden Untersuchungen für Thorn und nur wenige Einzelstudien zu Städten in Preußen, dem benachbarten Polen (Warschau) bzw. dem Hanseraum (Stralsund) vorliegen. Überblicksdarstellungen existieren immerhin für Preußen, Polen und das Baltikum. Zu bedenken bleibt auch, dass die Moderne einen stark abweichenden Umgang mit Epidemien aufweist und daher gerade die Analyse historischer Bewältigungsstrategien für plötzlich auftretende, stark ansteckende und sich schnell verbreitende Krankheiten mit Hilfe eines interdisziplinären (in diesem Fall religionssoziologischen) Ansatzes für diese Epoche als lohnenswert erscheint.
Die Quellenlage ist vielversprechend, ‒ zum einen blieben aus Thorn die (in der Regel ungedruckten) Rats- und Stadtbücher, zum anderen die (in Deutsch oder Latein verfassten, mehrheitlich gedruckt vorliegenden) Berichte und Abhandlungen mehrerer Zeitzeugen erhalten. Unter ihnen ragen der aus Danzig stammende, lutherische Prediger Ephraim Prätorius (1657-1723) und der katholische Bürgermeister und Chronist Jacob Heinrich Zernecke (1672-1741) hervor. Es werden überdies mehrere Leichenpredigten (darunter auch ein polnisch-sprachiger Text), die aus Anlass der Pest aktualisierten Gebets-, Gottesdienst- und Kirchenordnungen beider Konfessionen sowie eine Anweisung des polnischen Königs benutzt. Konsultiert werden schließlich noch die einschlägigen Akten aus Archiven und Bibliotheken in Berlin, Danzig, Posen und Thorn.
Die Untersuchung besteht aus drei Teilen:
1) Die Pest als totales soziales Phänomen ‒ Eine am Auftreten, der Bekämpfung und den Auswirkungen der Pest orientierte Rekonstruktion der Ereignisse, des Vorgehens zur Schadenbeseitigung und der sozialen Bewältigungsstrategien von Seiten der Bürger und des Stadtrats in Thorn.
2) Vier analytische Kapitel, deren Überschriften in etwa folgender Maßen wiederzugeben sind: a) Der christliche Patient ‒ Die religiöse Versorgung der Pestkranken im Spiegel der Pesttraktate von Prätorius, b) Die institutionelle Versorgung der Erkrankten ‒ zu Hause oder im Lazarett im Spiegel von Leichenpredigten und Stadtrechnungen, c) Reich und Arm in Zeiten der Pest ‒ Die subsidiäre Finanzierung der Pestmaßnahmen (Krankenversorgung, Beisetzungen) durch finanziell befähigte Bürger bzw. die Stadtkasse sowie statistische und stadtarchäologische Auswertungen, d) Timor pestis ‒ die Angst vor der Seuche als natürliches und religiöses Phänomen. Desiderate für die polnische respektive mitteleuropäische Forschung bestehen nach Aussage der Studie für die Funktionsweise der Lazarette, die finanzielle Seite der Pestbekämpfung sowie die Rolle der Angst vor der Pest an der Wende vom 17. zum frühen 18. Jahrhundert.
3) Der sich hieran anschließende Anhang besteht aus Tabellen, Graphiken, Abbildungen, Quellen- und Literaturtiteln sowie den Fußnoten. Besonders beachtenswert ist hierbei die Transkription von rund dreißig deutschsprachigen Dokumenten zur Rolle der Pest in Thorn während des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Quellenpräsentation umfasst gut ein Drittel der Studie und bildet einen wesentlichen Grund für die heutige Preisverleihung.
Gestattet seien mir abschließend zwei kleine kritische Bemerkungen: Für die Übersetzung und Drucklegung sollte die erzielten Ergebnisse ausführlicher, als bereits geschehen, herausgestellt und der (naturgemäß nicht zu übersetzende) Quellenanhang durch einen Muttersprachler, am besten einen Germanisten, gründlich zur Korrektur gelesen werden.
Eine Preisverleihung erscheint uns nichtsdestoweniger gut vertretbar, da die Untersuchung mit der Stadt Thorn die spätere preußische Provinz Westpreußen betrifft, vor allem auf deutschsprachigen Quellen beruht, einen neuen Ansatz anwendet, quellennah arbeitet und unbekannte Ergebnisse zeitigt. Hierbei ist Analyse der konfessionell unterschiedliche Umgang mit der Pest, den die Verfasserin herausgearbeitet hat, besonders zu erwähnen. Zur Preisverleihung seien Ihnen, liebe Frau Dr. Pękacka-Falkowska, noch einmal unsere herzlichen Glückwünsche ausgesprochen.
26/08/2017, Hk (Werder an der Havel)
Pressemitteilung
Frau Dr. Katarzyna Pękacka-Falkowska, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medizingeschichte der Universität Posen, heißt die Empfängerin des im Jahre 2017 erstmals verliehenen Max-Perlbach-Forschungspreises der Copernicus-Vereinigung für Geschichte und Landeskunde Westpreußens. Die Würdigung und Preisverleihung erfolgt bei der Mitgliederversammlung am … bitte ergänzen im Westpreußischen Landesmuseum in Warendorf. Die Studie dreht sich um „Epidemische Krankheiten im neuzeitlichen Thorn. Die Große Pest während des Großen Nordischen Krieges als totales soziales Phänomen“. Der Ausdruck „totales soziales Phänomen“ geht auf den französischen Religionssoziologen zurück und bezeichnet historische Vorgänge, die Auswirkungen in der Breite des gesellschaftlichen Lebens zeitigen. Es geht deshalb nicht nur um die politischen, sozialen, kulturellen, demographischen und psychologischen Folgen der Thorner Pestzüge kurz nach 1700, sondern auch um den Nachweis einer Infrastruktur, die dazu verhalf, den sozialen Zusammenhalt in der Stadt angesichts von Gewalt, Leid und Angst (wieder) herzustellen und aufrechtzuerhalten. Preiswürdig erschien die Studie vor allem wegen eines ausführlichen, erstmals entzifferten deutschsprachigen Quellenanhangs sowie der sorgfältigen Analyse des konfessionell unterschiedlichen Umgangs mit der Pest. Hierfür waren die Berichte und Abhandlungen gleich mehrerer Zeitzeugen maßgebend. Unter ihnen ragen der aus Danzig stammende, lutherische Prediger Ephraim Prätorius (1657-1723) und der katholische Bürgermeister und Chronist Jacob Heinrich Zernecke (1672-1741) hervor.
Der Name des Forschungspreises geht übrigens auf den aus Westpreußen stammenden Bibliothekar und Historiker Max Perlbach (* 1848 in Danzig, † 1921 in Berlin) zurück, dessen Hauptforschungsgebiet das spätere Westpreußen (Pommerellen) in der Zeit des Deutschen Ordens bildete.
26/08/2017, Hk (Werder an der Havel)